Forschungs-Blog

Unser Weg zu einem klimaneutralen Gebäude

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Berge sind kartonfrei

Warum werden Baustoffe nur einmal verwendet?

Als Forschungsteam für klimaneutrales Bauen haben wir uns mit dem Thema Abriss auseinandergesetzt. Es ist ein bisschen ein blinder Fleck – wir denken wenig darüber nach. In unserem Berechnungsmodell konzentrieren wir uns auf Phase A des Planens und Bauens und die Nutzungsphase B. Darauf können wir Einfluss nehmen. Dennoch kalkulieren wir den Abbruch nach einer Regellaufzeit von 50 Jahren ein. Dies nennt man Phase C. (Als jemand, der auf die 59 zugeht, finde ich einen so kurzen Lebenszyklus an sich etwas beunruhigend und hoffe, meine eigene „Phase B“ um einige Jahrzehnte verlängern zu können.)

Da wir so wenig über Abriss und Möglichkeiten der Nachnutzung von Gebäudeteilen wissen, haben wir Expert*innen des Bauunternehmens PORR zu diesem Thema besucht. Es war ein gelungener Austausch. Wir lernten die Methodik und die Theorie dahinter kennen. Im Vergleich zu meiner Studienzeit erkenne ich einen beeindruckenden Wissensfortschritt zu Materialien und deren Recyclingpotential. Aber es bleibt noch viel zu tun: Die Lebenszyklusanalyse als Werkzeug scheint nicht praktikabel genug, um festzustellen, ob Materialien für die Wiederverwendung geeignet sind. Es geht jedoch nicht nur um Wissen und Daten, es scheint insgesamt ein mangelndes Bewusstsein für Nachhaltigkeitsfragen im Zusammenhang mit dem Abbruch eines Gebäudes zu geben. Dies führt zu Konstruktionstypen, wo viele unterschiedliche Materialien zusammengeklebt werden. Diese sind schwer trennbar und folglich nicht mehr für die Renovierung oder Wiederverwendung zu gebrauchen.

Bei älteren Gebäuden gibt es kaum Dokumentation über eingesetzte Materialien. Dadurch ist es schwierig, beispielsweise den Stahl einer alten Halle in einer anderen Umgebung zu verwenden. Wie berechnet man, was die Konstruktion noch tragen kann? Wie kann man Dinge andernorts  wiederverwenden, wo etwa andere Verhältnisse herrschen? Ingenieur*innen stehen vor einer großen Herausforderung, derartige Materialien zu berücksichtigen.

Materialnomaden Headquarter - Werkstatt
Materialnomaden Headquarter - re-used Bank

Wiederzuverwendende Bauteile im Lager von de Stadsjutters in Utrecht. Foto: Vis-à-Wien

Antike Eichenböden abbrennen… weil es billig ist?

In Ermangelung einer besseren Lösung besteht die einfachste meistens darin, Dinge abzureißen und die Materialien in „Wärmeenergie umzuwandeln“. Oder anders gesagt, man nimmt z.B. antike Eichenböden und verbrennt sie. Solange wir noch fossile Brennstoffe verwenden, erzielt man dadurch in der CO2-Emissionsberechnung sogar einen “Kompensationsbonus”. Die Logik dahinter: Wird das Holz verheizt, spart man fossile Brennstoffe ein. Statt diesem Irrsinn sollte eine Kaskadennutzung gewählt werden: Das Holz Holz könnte so beispielsweise als Fassadenplatte wiederverwendet werden, als Dämmmaterial zum Einsatz kommen oder als Werkstoff für einen Gartenweg dienen. Aber in der Praxis kommt das selten vor. Das hat mit dem Bewusstsein bezüglich diesem Thema zu tun. Laut unseren Gesprächspartner*innen ist Deutschland da schon einen Schritt weiter als Österreich..

Wie bei vielen Nachhaltigkeitsthemen ist das größte Hindernis das Geld: Der Rückbau eines Gebäudes zur Wiederverwendung erfordert qualifiziertes Personal, das einen höheren Lohn und mehr Zeit benötigt, als bei einem schnellen Abriss zur Verfügung steht. Zeit ist ein knappes Gutbeim Baustoffrecycling. Eine Plastikflasche wird an einem Tag verbraucht, ein Gebäude überdauert Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte. Wir müssen darüber nachdenken, wie unsere Gebäude nach Gebrauch rückgebaut werden können. Und wir müssen jetzt lernen, Materialien zu trennen, die in den sechziger und siebziger Jahren eingeführt wurden. Wie geht man zum Beispiel mit Gipskarton um? Der Gips kann recycelt werden und die Produzent*innen denken über technische Lösungen nach. Sie sind sich bewusst, dass die natürlichen Gipsvorräte in etwa 30 Jahren knapp werden.

Dieser kurze Film zeigt wie es geht (Youtube).

Das klingt beruhigend, aber in der Praxis verwerten solche Anlagen Platten, die noch in keinem Gebäude zum Einsatz kamen. Diese stellen nur einen sehr kleinen Teil der Gesamtproduktion dar. Abbruchmaterialien landen immer noch hauptsächlich auf Deponien. Die Platten können verfliest sein, es gibt Schrauben und Pappe, die entfernt werden müssen. Das ist aufwändig und kompliziert. In den Bergen, wo die Rohstoffe gewonnen werden, gibt es weder Pappe noch Schrauben, was den Abbau erleichtert. Zudem sind die Entsorgungskosten für die Deponierung der alten Materialien viel zu niedrig. Dadurch ist Recycling derzeit – rein wirtschaftlich betrachtet – unattraktiv. Das führt zu der irrwitzigen Situation, dass einerseits Berge von Altmaterial entsorgt werden, während woanders Gips gewonnen werden muss – nur weil es billiger und einfacher ist.

Die Romantik der Recyclingarbeit

Als ich das hörte, musste ich an den Ort in Frankfurt denken, an dem Student*innen nach dem Krieg Baumaterial aus zerbombten Häusern holten. Der Mann, der mein Vater werden sollte, trug das Holz weg, aus dem meine Mutter den ganzen Tag Nägel herauszog. Sie tat dies nicht aus Klimaschutzgründen oder aus Versöhnungsidealen. Der wahre Anreiz dafür war – wie für die meisten Teilnehmenden – eine von den Amerikanern gesponserte Auslandsreise. Es war das Versprechen einer von den Amerikanern gesponserten Auslandsreise, die das Interesse der meisten Teilnehmer*innen weckte. In ihrem Fall war die Fahrt nach Deutschland, der Beginn einer Lebensreise mit meinem Vater.

Das Holz, an dem sie zu Beginn ihrer Romanze gearbeitet haben, stand für die Wiederverwendung im Bauwesen zur Verfügung. Die billige Arbeitskraft der Studierenden während dieser Reise ermöglichte eine Recyclingquote, die in der heutigen Zeit unmöglich zu erreichen scheint.

Materialnomaden Headquarter - Werkstatt
Materialnomaden Headquarter - re-used Bank

Aufbereitung zum Wiederverwenden als Arbeitskräfte noch billig waren. Fotos: Maria Lammens

Gutes Timing ist der Schlüssel zur Wiederverwendung von Baumaterialien

Wie können wir den Zugang zu guten Wiederverwendungsmaterialien gewährleisten, bevor sie auf einer Deponie oder einem Ofen landen? Der Schlüssel scheint in der Planung und Organisation zu liegen. Ein gelungener Informationsaustausch ist entscheidend, um sicherzustellen, dass wertvolle Materialien in dem kurzen Zeitfenster vor dem Abriss “geerntet” werden können. Dazu kommt das Problem der Lagerung der gesammelten Materialien.

Die Zusammenarbeit mit unseren neu gewonnenen Partnern der PORR könnte uns den notwendigen Informationsvorsprung verschaffen: Wo und wann werden alte Gebäude abgerissen? Weiters muss noch eine Lösung für den Abbau und die Lagerung wertvoller und nützlicher Materialien gefunden werden. Eine ziemliche Herausforderung, aber ich denke, es lohnt sich, sie anzunehmen.

Fortsetzung folgt.

■ Marieke van Geldermalsen